Augen auf bei der Berufswahl

Auf Parkplatzsuche vor einer Halle, in der gerade eine Esoterik-Messe stattfindet.
Vor mir fährt äußerst unberechenbar eine Frau. Mal stoppt sie abrupt, um dann festzustellen, dass da doch kein freier Platz ist. Mal biegt sie halb ab, um dann doch wieder geradeaus zu fahren. Jedenfalls findet und findet sie keinen Parkplatz.
Auf der Heckscheibe bietet sie ihre Dienste als Hellseherin an.
Gute Lust, sie zur Rede zu stellen: Entweder sofort einen Parkplatz finden oder den Aufkleber entfernen.

Tweets aus dem Siebzehnten Jahrhundert

Der Mann ist tot. Seit über dreihundert Jahren. Doch er twittert. Allein heute 4 Tweets. Fast 25.000 Followers.

Samuel Pepys (Bild) (1633-1703), ein hoher Funktionär im Londoner Flottenamt, ein überraschend moderner Urban Professional, ein großer und aktiver Liebhaber der Künste, der Wissenschaften, des Essens, der Frauen. Vor allem aber der Autor der wunderbaren Geheimen Tagebücher. Er schrieb sie von 1660 bis 1669 jeden Tag. Im Geheimen. In einer Kurzschrift, die kaum jemand lesen konnte.

Dies und sein freier Geist ermöglichten eine schonungslose Betrachtung seiner Zeit, seiner Zeitgenossen und seiner selbst. Und das im Zentrum des Geschehens einer aufregenden und gefährlichen Epoche (Kriege, Pest, Große Feuer, Religionsverfolgung, Ausschweifungen, wissenschaftliche Umbrüche). Wer sich nicht mit den vielen kümmerlichen Kompilationen zufriedengibt, sondern in die Gesamtausgaben hineinschaut, wird nicht nur durch die Fülle authentischer Details und Geschichten belohnt sondern auch durch den spektakulären Stil. Der verbindet auf selbstverständliche Weise etwa die große Politik mit intimsten Alltagsdetails.
Schon im ersten Eintrag heißt es übergangslos:
„Meine Frau… machte mir Hoffnung auf ein Kind, aber am letzten Tag des Jahres hatte sie wieder ihre Tage. Die Lage im Staat war wie folgt…“

Und da jeder Eintrag äußerst lesenswert ist, stellt der unermüdliche Phil Gyford seit 2003 Tag für Tag die Pepys-Einträge datumsgleich ins Web. Am 1. Januar 2003 also den ersten Eintrag vom 1. Januar 1660 und so fort bis heute. Das heißt, genau bis zum 31. Mai 2012 (1669). Dann wird Pepys seinen letzten Eintrag mit großem Bedauern (wegen seiner – unbegründeten – Furcht zu erblinden) beenden: „…almost as much as to see myself go into my grave…“
Das wird er dann wohl auch twittern: @samuelpepys. Natürlich wie bisher schon mit Hilfe von Phil.

Ein Tweet vom heutigen 20.1. thematisiert einmal mehr die – berechtigte – Eifersucht seiner Frau:
„My wife letting fall some words of her observing my eyes to be mightily employed in the playhouse, meaning upon women, which did vex me.“

Buch-Tipps:
Die vollständige englische Gesamtausgabe. Ein editorisches Meisterwerk auch unabhängig vom Thema.
Die daran orientierte deutsche Gesamtausgabe. Eine bewundernswerte verlegerische Leistung.
Die hervorragende Pepys-Biographie von Claire Tomalin.

Sex, Schwerter, Siebenjährige

Kann ein Schrifttyp Kinder verderben? Arbeitsplätze gefährden?
Yes, it can.
Wir schreiben das Jahr des Herrn 2010. In einem großen nordamerikanischen Land möchte eine aufgeschlossene Lehrperson ihre siebenjährigen Schülerinnen und Schüler auf dem neuesten Stand der Technologie unterrichten.  Also dürfen die Kleinen ihre Texte auch mit dem schönen Web-Programm Wordle kreativ dekonstruieren und grafisch aufbereiten. Ein großer Lernspaß und so „technology-forward“.

Der Spaß endet, als die aufgeschlossene Lehrperson das Wort „Sex“ entdeckt. Nicht in den Texten der Kleinen sondern in einem Schrifttyp, genau gesagt im Namen des Fonts „Sexsmith“.
Ein Schock. Doch patent und technology-forward, wie die Lehrperson nun einmal ist, wendet sie sich auf elektronischem Weg direkt an den Betreiber von Wordle, Herrn Jonathan Feinberg aus Medford, MA. Vielleicht hat er schon ähnliche Zuschriften bekommen, jedenfalls fasst er das Thema in folgender FAQ zusammen:
„Could you remove or change the name of the “Sexsmith” font? I don’t want my students to see it.“

Herr Feinberg denkt nicht daran. Gleichwohl erklärt er geduldig Herkunft und Bedeutung des Namens und verweist u.a. darauf, dass auch Kinder in Gemeinden wie Sexsmith (Alberta, Canada) oder in Middlesex damit leben könnten.
Die aufgeschlossene Lehrperson weiß die gescheite Antwort zu schätzen, fürchtet aber, dass ihre Siebenjährigen und deren Eltern dies nicht könnten. Also sieht sie sich – wegen dieser „einen Sache“ nicht imstande, ihre Kleinen weiterhin der fortschrittlichen Wordle-Technologie auszusetzen. Und: „it also sucks that I could get fired for allowing my kids to play with a site that has „Sex“ anywhere on it, no matter the context. Thanks for being so understanding.“  (Das Bild oben zeigt die ganze Zuschrift als Wordle in „Sexsmith“)
Herrn Feinbergs Understanding hat ein Ende. Er beklagt eine „völlig kranke“ Angst vor dieser Buchstabenkombination in seinem Land und findet es in diesem Fall besonders bizarr, da das „Sex“ in „Sexsmith“ überhaupt nichts mit den unterstellten schlüpfrigen Aktivitäten zu hat.
Womit denn dann?

Der fragliche Font stammt von dem Typographen Ray Larabie. Dieser benannte ihn nach dem kanadischen Sänger Ron Sexsmith. Der hat die Ehre durchaus verdient, denn er ist einer der besten Songschreiber im Pop. Bekannt und geschätzt vor allem bei anderen Musikern. Eine große Mehrheit der Konsumenten lauscht dagegen eher dem Aufguss von James Blunt und Co.
Ron Sexsmith ist kein Künstlername sondern ein ganz normaler Familienname.  Über Smith muss man nicht sprechen, aber Sex? Bedeutet in diesem Kontext letztlich Schwert. Also „Schwertschmied“, ein Name nicht anders als etwa „Messerschmitt“.
Sex leitet sich vom Altenglischen „Seax“ ab. Das bezeichnet ein Hiebschwert, das von der Eisenzeit bis ins Mittelalter in Europa bekannt und gefürchtet war. Im Deutschen heißt die Waffe Sax oder Sachs, vom Althochdeutschen „sahs“. Und wenn das Beowulf-Lied von „schweissichtem Sachs“ berichtet, so ist damit nicht schwüler Sex, sondern die triefende Schwertklinge gemeint.
Der Wortstamm „sahs“ findet sich nicht nur in  „Messer“ (im hinteren Teil), sondern wohl auch im Namen der „Sachsen“, die sich selbst als „Schwertgenossen“ bezeichnet haben sollen. Die Sachsen haben dann auch ihre ungehörigen Namensgebungen in England hinterlassen: Essex (Ostsachsen), Wessex (Westsachsen), Sussex (Südsachsen). Und Nossex? Hätte unserer Lehrperson vielleicht gefallen, gibt es meines Wissens aber nicht.

Jetzt kennen wir Sex und Sax. Unsere Lehrperson verwendet aber auch noch das Wort „sucks“. Remember? „It also sucks that I could get fired for allowing my kids to play with a site that has „Sex“ anywhere on it“. Offensichtlich ist ihr nicht klar, dass dieser Ausdruck ursprünglich wohl mit „Fellatio“ (beschwert sich jetzt jemand mit Fell–Allergie?) assoziiert war. Aber vielleicht hat sie auch so eine treuherzige Herleitung im Kopf wie „Dating Star“, der oder die das Nach-Luft-Schnappen nach anstrengender Arbeit als Ausgangspunkt sieht. Gepostet im leider eingestellten Scienceblog „Cognitive Daily“. Dort findet sich auch eine kleine empirische Untersuchung zu „suck“ und anderen bösen Wörtern. Sextett ist übrigens nicht dabei.

Musik-Tipp für eine Solo-Nummer: Ron Sexsmith, „Imaginary Friends“.
Und was ist mit Blunt? Heißt auf Deutsch „stumpf“, wie stumpfes Schwert.