Poetry Spam – Catch of the Day 10

guten tag!

ich dr. diana wolfgang wilson!

wohnhaft!

in großbritannien!

bin makler!

bei der firma t. broker!

mein klient!

eine saudi arabische familie!

hat interesse!

in ihrem land!

in immobilien gesellschaften zu investieren!

oder zu gründen!

ich brauche kompetente mitarbeiter!

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ihre antwort!

an: dianawolfgangdrwilson@….

Auterrorisierung

Martin Sonneborn schickt eine Interview-Anfrage an die Deutsche Bank. Er möchte über Macht, Finanzkrise, Hedgefonds, Millionengehälter der Bänker sprechen. Die Bank schickt ihm gleich das ganze Interview mit allen Antworten. Allerdings auf ganz andere Fragen.

Genialerweise fragt Sonneborn nun nicht investigativ nach, sondern geht hin und und realisiert das vorgeschriebene Interview Wort für Wort mit dem Kommunikationsmitarbeiter der Bank. Sagt vor, wenn der den Text nicht wörtlich bringt, spricht mit, wenn er ihn bringt. Zum Brüllen komisch. Aber nicht nur.

Man könnte sagen, ein Unternehmenskommunikator, der sich selbst interviewt, nimmt das „kommun“, das Gemeinsame, aus der Kommunikation. Allerdings kommuniziert er ja doch, wenn auch auf einer impliziten Ebene: Spiele mit bei meiner Simulation, sonst bekommst du gar kein Interview mit meinem begehrten Unternehmen.

Unter dem Titel „Wir alle spielen Theater“ hat Erving Goffman beschrieben, wie Menschen fortwährend versuchen, den Eindruck, den sie auf andere machen, in ihrem Sinne zu kontrollieren. Die Sozialpsychologie hat das in einem ganzen Forschungsgebiet „Impression Management“ belegt. Dass Unternehmen ihr Bild in der Öffentlichkeit zielgerichtet steuern wollen, ist selbstverständlich und professionell. Dass dabei Grenzüberschreitungen nicht nur arrogant, sondern dumm weil kontraproduktiv sind, zeigt die vorgeschriebene Interview-Simulation der DB.

So absurd das Ergebnis ist, es steht doch auch für einen allgemeinen Trend. Journalisten leiden zunehmend unter einem Autorisierungswahn. Nicht nur Unternehmen, auch Politiker, Agenten der A-, B- und C-Promis, selbst Privatpersonen scheinen regelmäßig sich am liebsten selbst interviewen zu wollen. Die wenig souveräne Inszenierung beginnt beim Diktat der zugelassenen Fragen, setzt sich fort mit einem Aufpasser bei der mündlichen Darbietung, um dann post festum zuverlässig in einer Zurechtschreibung des tatsächlich Gesagten zu enden. Die Journalisten mühen sich nach Kräften, dem zu widerstehen, doch der Druck ist da.

Das bisschen was ich lese, schreibe ich mir selbst.
Soll Tucholsky geschrieben haben. Überprüfen kann ich das nicht. Ich lese ja nur Selbstgeschriebenes.

 

Bartlos in Schwetzingen

Stellen wir uns eine Noten-Umblätterin vor, mit Bart und unverschämtem Auftreten. Stellen wir uns vor, sie suchte einen Job in Schwetzingen.
Keine Chance.
Zumindest nicht beim Großpianisten Svjatoslav Richter.
Der verlangte laut seinem Vertrag mit den Schwetzinger Festspielen  nämlich das genaue Gegenteil:
„Umblätterer, männlich, ohne Bart, bescheidenes Auftreten“.
Er wird ihn wohl auch bekommen und große Kunst geboten haben.
Ungestört von den anscheinend fundamentalen Ablenkungsfaktoren Geschlecht, Erscheinung und Verhalten. An das taktile Störpotential langer Bärte versuchen wir gar nicht erst zu denken. .

Zitat-Quelle: Hans Hachmann, in SWR Musikstunde,  31.5. 2012

Quasselstoppe

„Betrachten wir nun die menschliche Stimme als Waffe. Bis zu welchem Grad kann man mit der bloßen Stimme Effekte kopieren, wie sie mit einem Tonbandgerät erzeugt werden können? Lernen mit geschlossenem Mund zu sprechen, sodass die Worte praktisch isoliert im Raum stehen, ist ziemlich einfach“
William Burroughs, Die elektronische Revolution. 1971/1972.

Dauerquassler nerven bekanntlich, nicht nur wenn sie laut sind. Häufig verbinden sie  mit ihrem unterbrechungsfreien Gerede die Vorstellung, ihre „Gesprächspartner“ zu beeinflussen, indem sie ihnen ihre Sicht der Dinge aufdrängen.

Aus kommunikationspsychologischer Sicht ist dies natürlich dumm. Denn wer so kommuniziert, hört nur, was er schon weiß, aber nicht, was der andere weiß oder will. Ein klarer Nachteil, weil man generell nichts dazulernt und konkret nichts über den anderen erfährt und ihn so erst recht nicht beeinflussen kann.
Hinzu kommt die „Reaktanz“ beim Partner, der den unfairen Kommunikanten ablehnen wird.

Vor einigen Jahren haben wir an der Universität Heidelberg ein Experiment zum Thema „Überzeugen“ durchgeführt. Unter anderem zeigte sich, dass viel redende Probanden sehr überzeugt sein konnten, ihr Gegenüber von ihrem Standpunkt überzeugt zu haben. „Dem Fräulein habe ich jetzt mal die Augen geöffnet“. Zu dumm, dass wir auch „das Fräulein“ befragten: „Der Blödmann hat nur Stuss geredet, ich bin kaum zu Wort gekommen. Irgendwann war es mir zu blöd und ich habe es ganz gelassen.“ (Aussagen sinngemäß wiedergegeben)
Musik-Einblendung: Mose Allison „Your mind is on vacation and your mouth is working overtime“.
Sprachlicher Dauerbeschuss geht also nach hinten los.

Japanische Forscher verschärfen diesen Effekt nun mit einem sprachlichem „Selbstschussgerät“. Ihr SpeechJammer ist ein handliches Gerät, das per Mikrofon und Lautsprecher für Stille sorgt. Diese Wortkanone gibt dem Quassler die eigenen Worte mit kurzer Verzögerung zurück. Das Echo soll so irritierend sein, dass Weitersprechen nahezu unmöglich wird.

Dass der Effekt auch unplugged funktioniert, zeigen die „Bösen Mädchen“ bei RTL.

Nach radikaler ist die Lösung, die Philip Garner in den Achtzigern vorschlug: Der Talkman (Bild oben), der das Geschwätz ohne jede Umweltbelastung im Schwätzer selbst kurzschließt. Womit wir wieder bei dem Burroughs-Zitat von oben wären.

Die schriftliche Variante des Talkman:
„Das bisschen, das ich lese, schreibe ich mir selbst“.

Sex, Schwerter, Siebenjährige

Kann ein Schrifttyp Kinder verderben? Arbeitsplätze gefährden?
Yes, it can.
Wir schreiben das Jahr des Herrn 2010. In einem großen nordamerikanischen Land möchte eine aufgeschlossene Lehrperson ihre siebenjährigen Schülerinnen und Schüler auf dem neuesten Stand der Technologie unterrichten.  Also dürfen die Kleinen ihre Texte auch mit dem schönen Web-Programm Wordle kreativ dekonstruieren und grafisch aufbereiten. Ein großer Lernspaß und so „technology-forward“.

Der Spaß endet, als die aufgeschlossene Lehrperson das Wort „Sex“ entdeckt. Nicht in den Texten der Kleinen sondern in einem Schrifttyp, genau gesagt im Namen des Fonts „Sexsmith“.
Ein Schock. Doch patent und technology-forward, wie die Lehrperson nun einmal ist, wendet sie sich auf elektronischem Weg direkt an den Betreiber von Wordle, Herrn Jonathan Feinberg aus Medford, MA. Vielleicht hat er schon ähnliche Zuschriften bekommen, jedenfalls fasst er das Thema in folgender FAQ zusammen:
„Could you remove or change the name of the “Sexsmith” font? I don’t want my students to see it.“

Herr Feinberg denkt nicht daran. Gleichwohl erklärt er geduldig Herkunft und Bedeutung des Namens und verweist u.a. darauf, dass auch Kinder in Gemeinden wie Sexsmith (Alberta, Canada) oder in Middlesex damit leben könnten.
Die aufgeschlossene Lehrperson weiß die gescheite Antwort zu schätzen, fürchtet aber, dass ihre Siebenjährigen und deren Eltern dies nicht könnten. Also sieht sie sich – wegen dieser „einen Sache“ nicht imstande, ihre Kleinen weiterhin der fortschrittlichen Wordle-Technologie auszusetzen. Und: „it also sucks that I could get fired for allowing my kids to play with a site that has „Sex“ anywhere on it, no matter the context. Thanks for being so understanding.“  (Das Bild oben zeigt die ganze Zuschrift als Wordle in „Sexsmith“)
Herrn Feinbergs Understanding hat ein Ende. Er beklagt eine „völlig kranke“ Angst vor dieser Buchstabenkombination in seinem Land und findet es in diesem Fall besonders bizarr, da das „Sex“ in „Sexsmith“ überhaupt nichts mit den unterstellten schlüpfrigen Aktivitäten zu hat.
Womit denn dann?

Der fragliche Font stammt von dem Typographen Ray Larabie. Dieser benannte ihn nach dem kanadischen Sänger Ron Sexsmith. Der hat die Ehre durchaus verdient, denn er ist einer der besten Songschreiber im Pop. Bekannt und geschätzt vor allem bei anderen Musikern. Eine große Mehrheit der Konsumenten lauscht dagegen eher dem Aufguss von James Blunt und Co.
Ron Sexsmith ist kein Künstlername sondern ein ganz normaler Familienname.  Über Smith muss man nicht sprechen, aber Sex? Bedeutet in diesem Kontext letztlich Schwert. Also „Schwertschmied“, ein Name nicht anders als etwa „Messerschmitt“.
Sex leitet sich vom Altenglischen „Seax“ ab. Das bezeichnet ein Hiebschwert, das von der Eisenzeit bis ins Mittelalter in Europa bekannt und gefürchtet war. Im Deutschen heißt die Waffe Sax oder Sachs, vom Althochdeutschen „sahs“. Und wenn das Beowulf-Lied von „schweissichtem Sachs“ berichtet, so ist damit nicht schwüler Sex, sondern die triefende Schwertklinge gemeint.
Der Wortstamm „sahs“ findet sich nicht nur in  „Messer“ (im hinteren Teil), sondern wohl auch im Namen der „Sachsen“, die sich selbst als „Schwertgenossen“ bezeichnet haben sollen. Die Sachsen haben dann auch ihre ungehörigen Namensgebungen in England hinterlassen: Essex (Ostsachsen), Wessex (Westsachsen), Sussex (Südsachsen). Und Nossex? Hätte unserer Lehrperson vielleicht gefallen, gibt es meines Wissens aber nicht.

Jetzt kennen wir Sex und Sax. Unsere Lehrperson verwendet aber auch noch das Wort „sucks“. Remember? „It also sucks that I could get fired for allowing my kids to play with a site that has „Sex“ anywhere on it“. Offensichtlich ist ihr nicht klar, dass dieser Ausdruck ursprünglich wohl mit „Fellatio“ (beschwert sich jetzt jemand mit Fell–Allergie?) assoziiert war. Aber vielleicht hat sie auch so eine treuherzige Herleitung im Kopf wie „Dating Star“, der oder die das Nach-Luft-Schnappen nach anstrengender Arbeit als Ausgangspunkt sieht. Gepostet im leider eingestellten Scienceblog „Cognitive Daily“. Dort findet sich auch eine kleine empirische Untersuchung zu „suck“ und anderen bösen Wörtern. Sextett ist übrigens nicht dabei.

Musik-Tipp für eine Solo-Nummer: Ron Sexsmith, „Imaginary Friends“.
Und was ist mit Blunt? Heißt auf Deutsch „stumpf“, wie stumpfes Schwert.

Schamlos Seamless

Neulich in der Park Avenue:
An der Fußgängerampel steht ein junger Typ und telefoniert lautstark vor sich hin.
„Yes, … yes,  no, … I am, I am  at…“ Übergangslos brüllt er einem distinguierten älteren Herrn ins zentimeterferne Gesicht „Where are we?!
Stoische Antwort: „52nd Street Park Avenue“
„Where?!“
Weiterhin stoisch: „Park Avenue. P-A-R-K Avenue“
„Park Avenue, 52nd Street!“, brüllt der Junge ins Telefon und läuft ohne jeden weiteren Umstand los.

Alleinmädchen

Heute kennen wir Alleinerziehende und Singles. Aber Alleinmädchen?
In einem älteren Fernsehinterview berichtet der Münchner Autor Sigi Sommer von Besuchen in Berliner Cafés der dreißiger (?) Jahre. Da seien immer Alleinmädchen herumgesessen.
Die wollten aber nicht allein bleiben, sondern suchten Anschluss.
Heute hat es sich herumgesprochen, dass auch einzelne Frauen nicht immer Anschluss suchen, und schon gar nicht mit materiellen Absichten. Mit diesen Fortschritten konnte das Wort Alleinmädchen wohl nicht mithalten.