Versagerknopf

Versagerknopf

Wenn man früher zurücktrat, musste man noch einen Versagerknopf drücken.
Allerdings ging es dabei nur um den Rücktritt von einem Kauf.
Und nur um 50 Pfg.

Der schwarze Frack der Dinge

Im Hotel Drouot erste Versteigerung von Photographien gesehen. Alles wird schwarz in diesem Jahrhundert: die Photographie, das ist wie der schwarze Frack der Dinge.

Journal der Brüder Goncourt, 1857

Eherelevante Kunsterfahrung

Aus einer Ehebeurkundung von 1756:

„Den …ten Jun: sind nach geschehener Proclamation, alhier copuliret der kunsterfahrene Junggeselle XY, Organist und Schulbedienter hie-selbst, ….,  und die ehr und Tugendbelobte Jgfr WZ, …“

Dem Manne wurde “Kunsterfahrung” per Heiratsurkunde attestiert. Was allerdings auch kein weicheres Kriterium als “ehr und tugendbelobt” ist.

Was könnte man da heute hinschreiben?
“Der internetaffine Single, Blogger und Barkeeper” und “die Unnahbare mit den 1000 Facebook-Freunden”?
“Copuliret”, gerne auch “öffentlich in der Kirche kopuliert”, müsste man ja heute auch anders formulieren.

World Toilet Day

„And so I to bed, and in the night was mightily troubled with a looseness (I suppose from some fresh damp Linnen that I put on this night); and feeling for a chamber pott, there was none, I having called the mayde up out of her bed, she had forgot I suppose to put one there; so I was forced in this strange house to rise and shit in the Chimny twice; and so to bed and was very well again and to sleep till 5 a-clock…“
Samuel Pepys, Tagebücher,  28. September 1665
(Deutsche Fassung am Ende des Beitrags)

Heute ist Welttoilettentag. Weniger banal, als es scheinen mag.

Ein Teil der Welt ist auf Trinkwasser angewiesen, das mit Fäkalien verseucht ist, während ein anderer Teil die Fäkalien mit kostbarem Trinkwasser wegspült.
Wissenschaftler arbeiten daran, die Exkremente schon im Haus möglichst ohne Wasser direkt in in Energie zu wandeln.
Aus dieser Perspektive mutet die Pepys’sche Kaminlösung geradezu visionär an.

Deutsche Fassung des Zitats:
“Darauf zu Bett. Doch wachte ich mitten in der Nacht mit furchtbarem Durchfall auf (vermutlich weil ich ein noch feuchtes Laken aufgezogen hatte). Ich tastete unter dem Bett nach dem Nachttopf, fand aber keinen. Das Zimmermädchen hatte ihn wohl hinzustellen vergessen, weil ich erst so spät nach Hause gekommen war. War daher gezwungen, mich in dem mir fremden Haus zweimal im Kamin zu erleichtern. Danach ging es wieder, und ich schlief ein“.
(Deutsche Ausgabe, Haffmanns & Tolkemitt, 2010)

Sechs Gründe der Schule fernzubleiben

1.
Hans Bossen hat 2 Söhne bei den Pferden und 1 Mädchen bei den Kindern und Gänsen

2.
Henning Blomberg hat einen Sohn von 4 Jahren und eine Tochter von 7 Jahren welches die Gänse hütet. Er hat schwere Not!

3.
Heinrich Pully ist es unmöglich 1 Mariengroschen (8 Pfg.) Schulgeld die Woche zu zahlen. Falls 4 Pfg. aus der Armenkasse kommen, dann wird sofort das Kind geschickt.

4.
Siemon Rühmann gibt an, seine Tochter sei 12 Jahre und so lange zur Schule gegangen, dass sie ein Evangelium lesen könne. Das müsse reichen, er müsse dieselbe nun zur Arbeit behalten.

5.
Hans Schatz würde sein Kind gern zur Schule schicken, er hat aber weder Kleider noch Schuhe für sie.

Alle vorgebracht im Jahr 1667 im Bereich des Amtes Lutter (Harz)

6.
enschuldigung schreiebn schule 3 tage vor dem ferien fehlen!!!
hi leute!ich wollte nachfragen wie ich begründen kann oder eine Entschuldigung schreiben kann wenn ich 3 tage vor den Sommerferien wegfliege! und noch mal zu Info wir haben auch schon gebucht was könnte ich jetzt da als Entschuldigung an die schule schreiben???danke im voraus!

Post bei gutefrage.net 2011

Und mein Herz war so wund und schrie…

… Ich hab viel bessere Beine doch als sie

Marlene Dietrich als Eifersüchtige In der deutschen  Version von Cole Porters “Miss Otis regrets (she’s unable to dine today)“.

Geschrieben hat den Text der Wiener Kabarettautor Lothar Metzl. Er musste 1938 in die USA emigrieren und arbeitete dort auch als Autor für die Behörden. Er schrieb dabei deutsche Texte für populäre Songs, mit denen im Krieg die Moral der Deutschen untergraben werden sollte. Etwa auch die Zeilen
“Es hält ihr Wort ein jedes Mädchen aus Liebe für den Mann.
Doch fragt sich heute ein jedes Mädchen, wie lang sie treu sein kann.”

Wie poetisch die Kommunikationsaktivitäten damals gegen den Feind sein konnten. Und wie prosaisch sie heute gegen den Freund sein können.

Gurkensalat mit Reis

Das Peferd frißt keinen Gurkensalalt

Das Pferd frisst keinen Gurkensalat!
Am 26. Oktober 1861 führte Philipp Reis das Ur-Telefonat. Zumindest demonstrierte er an diesem Tag in Frankfurt die Funktionsfähigkeit seines Telephon-Prototypen.

Dabei übertrug die Apparatur in den Saal, was sein Schwager im Garten aus einem Buch vorlas. Reis wiederholte das ankommende Gekrächze. Ein Skeptiker argwöhnte, Reis habe den Text auswendig gelernt, und sprach selbst einige möglichst ungewöhnliche Sätze in den Apparat.  Eben ”Das Pferd frisst keinen Gurkensalat”. Aber auch “Die Sonne ist von Kupfer”.

Das Pferd frisst keinen Gurkensalat” war also nicht unbedingt der erste telefonierte Satz, wie häufig behauptet, hat sich aber bis heute besonders eingeprägt.
Reis verstand beide Sätze nicht ganz, aber das Publikum war überzeugt.
Und auch heute noch ruft man sich trotz schlechter Verbindung Sätze zu, auf deren Inhalt es gar nicht ankommt.

Present but not Voting

Zu Professor Bentham wollen Sie? Den finden Sie  im ersten Stock. Der Mitarbeiter des UCL (University College of London) führt nach oben. Er hat schon lange keinen Besuch mehr gehabt. Wie, dieser berühmte Wissenschaftler?

Da sitzt er auch schon. Hinter weit geöffneten Türflügeln. Aufrecht und tadellos gekleidet, wie seit über hundertfünfzig Jahren schon. Tot allerdings. Seit 1832, um genau zu sein.

bentham

Jeremy Bentham (1748 -1832) war ein bedeutender Philosoph, Jurist und Sozialreformer. Er war ein Vorläufer moderner Rechts- und Verfassungsauffassung ebenso wie ein erstaunlich aktueller Vertreter der Tierrechte. In seinen Schriften trat er für die Rechte von Frauen und Homosexuellen ein.

Als Begründer des modernen Utilitarismus wollte er auch physisch über den Tod hinaus nützlich sein. Er vermachte seinen Körper der Wissenschaft. Ließ ihn sezieren und nach seinen Anweisungen zum ”Auto-Icon” präparieren. Das Skelett wurde mit Stroh und Kleidung umhüllt, der Kopf mumifiziert. Letzteres mit derart unglücklichem Ergebnis, dass man dem Skelett lieber einen Wachskopf aufsetzte. Den Originalkopf legte man der Figur zunächst Füßen. Nach Diebstahl durch Studierende des “rivalisierenden” King’s College  wurde er an einen sicheren Ort verbracht.

Es heißt, Bentham habe seinen Körper noch in anderer Weise der Wissenschaft vermacht. So soll er posthum an Sitzungen des Universitätsrats teilgenommen haben. Im Protokoll soll dann gestanden haben “Present but not voting”. Für manch lebenden Konferenzteilnehmer mag die umgekehrte Formulierung angebracht sein. Bei Patt-Situationen soll Benthams Stimme doch gezählt worden sein. Und zwar stets für den eingebrachten Antrag. Das Ganze ist allerdings bloße Legende. Die Universität dementiert jedenfalls.

Immerhin holt sie den Professor zu besonderen Anlässen aus dem Schrank in die Sitzung, zuletzt am 10. Juli 2013. Auch an einem Dinner hat er schon teilgenommen. Present but not eating.

Valentinstag – Geht auch ohne Blumen

Valentinstag. Eine Erfindung der Blumenindustrie?
Nein. Viel älter. Steht in jedem Lexikon.
Valentinstag. Der Liebsten Blumen schenken?
OK, aber früher war das auch mal anders.
Und zumindest vom Procedere her amüsanter. Auch ging es nicht unbedingt um den existierenden Partner.

Im Frankreich und England des 17. Jahrhunderts etwa ermittelte man seine(n) „Valentine“ häufig durch Los. Die Männer zogen ein Los aus einer  „Billet-Box“ mit Frauennamen und umgekehrt. Die ermittelten Paare verbrachten dann das Fest am folgenden Tag miteinander.Da die Prozedur meist für jeden zwei Valentines ergab, mussten weitere Verfahren zur Entscheidung her. Die waren wohl regional oder sozial unterschiedlich. Auch zu Duellen soll es gekommen sein.

In den Tagebüchern von Samuel Pepys kann man über zehn Jahre verfolgen, in welchen Varianten man im London des 17.Jahrhunderts seinen Valentinsschatz gewählt hat.
Die Auslosung im Freundeskreis war wohl Standard.
„Es wurden aber nicht nur Namen, sondern auch Sinnsprüche gezogen, was eine neue Mode ist, und die Tochter von Mrs. Pearse zog für mich einen Spruch. Ich habe aber vergessen, wie er lautete. Der meiner Frau lautete: ‚Die überaus Tugendhafte und Schöne‘. Sie hefteten ihn sich ebenfalls an oder bildeten Anagramme daraus, was recht amüsant ist.“  (16.2.1667)

Neben dem Losverfahren gab es auch die bewusste persönliche Auswahl, die unter den Eheleuten Pepys offen diskutiert wurde:
„Heute Abend war meine Frau ganz darauf aus, dass wir uns für morgen einen Valentinsschatz aussuchen. Für mich Mrs. Clarke oder Mrs. Pearse, für sie Mr. Hunt oder Captain Ferrer. Ich hatte jedoch keine Lust dazu, weil es beiden Seiten nur Kosten einbringt, mir für meinen Schatz und dem Herren für sie. Ihr gefiel das ganz und gar nicht“ (13.2.1662)

Ob der Dissens dazu geführt hat, dass die Wahl der Valentines in den beiden darauffolgenden Tagebuch-Jahren keine Erwähnung findet? In den Jahren danach gab es wohl die Vereinbarung, dass Pepys seine Frau in jedem Fall als Valentine wählte – zusätzlich zu den anderen.

Weniger berechenbar war die Variante, auf die auch Shakespeares Ophelia anspielt:
Tomorrow is Saint Valentine’s day
All in the morning bedtime,
And I a maid at your window,
To be your Valentine.

Dabei musste man die erste Person des anderen Geschlechts, die man am Valentinsmorgen sah, als Valentine akzeptieren. Da wollte man natürlich nicht jeden sehen. Wie Mrs. Pepys, als sie die Handwerker im Haus hatte:
„Am Vormittag kam W. Bowyer, der darauf der Valentinsschatz meiner Frau wurde. Sie hatte (worüber ich mich im Stillen köstlich amüsierte) den ganzen Morgen den Kopf in den Händen verborgen gehalten, um nicht die Maler zu Gesicht zu bekommen, als diese meinen Kaminsims und die Bilderrahmen im Esszimmer vergoldeten. (14.2. 1662).
Ebenso ihr Gatte, der am selben Morgen nicht bei seinem Nachbarn und Kollegen gesehen werden wollte:
„Ich vermied es heute bewusst, mich bei Sir W. Batten blicken zu lassen, weil ich nicht wollte, dass seine Tochter mein Valentinsschatz wird, so wie im vergangenen Jahr. Wir sind nämlich nicht mehr so eng miteinander befreundet, wie früher. (14.2. 1662)

Als man noch gut Freund war, wurde durchaus auch Schabernack mit diesem Zufallsprinzip getrieben:
„Valentinstag. Früh aufgestanden und zu Sir W. Batten begeben. Ich ging aber nicht hinein, ohne zuvor gefragt zu haben, ob es sich bei der Person, welche die Tür öffnete, um einen Mann oder um eine Frau handelte. Mingo (Battens Diener), der dahinter stand, antwortete „eine Frau“ und brachte mich durch die Art, wie er es sagte, zum Lachen. Ich ging dann hinauf und wählte Mrs. Martha als meinen Valentinsschatz (aber nur aus Höflichkeit) und Sir W. Batten meine Frau als den seinen. Danach waren wir sehr vergnügt.“ (14.2. 1661)
„Heute früh kam der junge Dick Penn zu uns, weil er Valentinsschatz meiner Frau war, und trat zu uns ins Schlafzimmer. Ich ließ ihn auf meine Seite des Bettes kommen, damit er mir eine Kuss gebe. Doch er bemerkte es und ging auf die andere Seite zu meiner Frau – ein hübscher, stattlicher, aufgeweckter Bursche“ (14.2.1665)
Eine anderer junger Bursche brachte gar Selbstgebasteltes ans Bett:
„Heute morgen kam der junge Will Mercer zu meiner Frau ans Bett (ich war schon aufgestanden und kleidete mich an), weil er ihr Valentinsschatz seine wollte. er brachte einen blauen Zettel mit, auf den er selbst in goldenen Lettern sehr hübsch ihren Namen geschrieben hatte, und den meine Frau ihm anheftete. (14.2.1667)

Andererseits bemühte man sich natürlich, den gewünschten Schatz zu sichten und zu sichern:
„Am Morgen wurde ich von Mr. Moore herausgerufen (als meine Frau, die gerade bei mir in meinem Ankleidezimmer war, seine Stimme hörte, zog sie sich an und verlangte von ihm ihr Valentinsgeschenk, weil heute dafür der richtige Tag war)“(14.2. 1660)

Auch der lebenslustige Pepys selbst war ein begehrter Valentinsschatz:
„Danach stand ich auf, wollte ins Amt, doch als ich die Haustür öffnete, stand dort Bagwells Frau. Wir unterhielten uns , und sie gestand mir, sei sei so früh aerschienen in der Hoffnung, mein Valentinsschatz sein zu können, und sie gab mir tatsächlich einen Kuss. (14.2.1665)
Im Jahr darauf “ …erschien Mrs. Pearce, mit meinem Namen als Valentinsschatz am Busen, was mich etwas kosten wird“ (15.2.1666)

Und billig war das Ganze tatsächlich nicht. Mit Blumen und Schokoladenherzchen war es jedenfalls nicht getan:
„…zu meiner Base Turner. Sie hatte mir gestern Abend erzählt, sie habe mich als Valentinsschatz gezogen, daher kaufte ich ihr heute in der Neuen Börse ein Paar grüner Seidenstrümpfe, dazu Strumpfbänder, Schuhbänder und zwei mit Jasminduft parfümierte Handschuhe, alles zusammen für 28s.(15.2.1669)
Doch wie im Ringtausch kam Vieles in der Regel auch wieder zurück in den Pepys’schen Haushalt:
William Batten „…hatte gestern nämlich meiner Frau ein halbes Dutzend Handschuhe, ein paar Seidenstrümpfe und Strumpfbänder als Valentinsgeschenk gesandt. (22.2. 1661)
Pepys, der über alle Ausgeben penibelst Buch führte, hätte sicher detailliert belegen können, was bei diesen Tauschgeschenken unterm Strich herausgekommen wäre. „Ich bin diesem Jahr ebenfalls der Valentinsschatz meiner Frau, was mich wohl 5l kosten wird – die hätte ich aber auch sonst für sie ausgeben müssen.“ (14.2.1667)

Aber insgesamt wird er den Spaß genossen haben. Die heutige Blumen-Nummer wäre ihm gewiss zu dröge.

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(
Nicht verlinkte deutsche Zitate nach der deutschen Printausgabe)

Rüstig

Dorothea Viehmann

Dorothea Viehmann

Vor zweihundert Jahren, am 20. Dezember 1812, erschien die erste Auflage der Grimmschen „Kinder- und Hausmärchen“.
In der Vorrede dazu (Kassel, 3. Juli 1819) schreiben die Brüder:
Einer jener guten Zufälle war es, dass wir aus dem bei Kassel gelegenen Dorfe Niederzwehren eine Bäuerin kennenlernten, die uns die meisten und schönsten Märchen des zweiten Bandes erzählte. Die Frau Viehmännin war noch rüstig und nicht viel über 50 Jahre alt. Ihre Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und Angenehmes und aus großen Augen blickte sie hell und scharf. Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtnis…

Anfang fünfzig und noch rüstig!
Prima Kompliment für heutige „Best Agers“. Die könnten einen dafür glatt mit dem Golfschläger hauen und dabei noch elegant aussehen.
Allerdings hatte das Wort rüstig durchaus auch einmal die Bedeutung von „fit“ und wurde auch für junge Menschen verwendet. Etwa von Goethe, der in „Hermann und Dorothea“ einem Pfarrer die Weisheit in den Mund legt „…die rüstige Jugend verspricht ein glückliches Alter“. Doch „Anfang fünfzig und noch fit“ würde dem dauer-juvenilen Golfer nicht viel besser gefallen.
Die Gastwirtstochter und Bäuerin Dorothea Viehmann war sicher gut trainiert von lebenslanger harter Arbeit. Wahrscheinlich zu gut. Keine Spur von Work-Life-Balance. Statt Golfschlägern musste sie wohl die Sense schwingen. Und ihre Rüstigkeit war so wenig selbstverständlich wie dauerhaft. Sie starb mit sechzig Jahren vor der Zeit“, also vor dem Erreichen einer heutigen Lebenserwartung, aber auch vor Erscheinen der von ihr weitergegebenen Märchen.
Das Wort rüstig kann inzwischen mit der Sprachentwicklung auch nicht mehr so recht mithalten. Noch findet es für die wirklich Hochbetagten Verwendung, aber ob die fitten Hochbetagten von morgen das noch hören wollen?