Mehr als nur das längste Palindrom – Der Schriftsteller Georges Perec, geb. 7.3.1936

Perec

cc Parisette

Georges Perec hat das vermutlich längste Palindrom der Welt verfasst, einen Text aus 1247 Wörtern, der sich vorwärts wie rückwärts buchstäblich identisch liest. Auch wenn die literarische Qualität dieses bedeutenden französischen Autors weit über solche Kabinettstücke hinausgeht, sind sie doch auch typisch für sein Werk.

Als Mitglied von Raimond Queneaus literarischer Gruppe Oulipo („Werkstatt für Potentielle Literatur“) unterwarf er seine Werke häufig strengen formalen Zwängen. So kommt der längere Roman „La Disparation“ („Anton Voyls Fortgang“) komplett ohne den häufigsten Buchstaben, nämlich das „e“ aus. Eine Herausforderung auch für den deutschen Übersetzer, der es ihm gleich tun musste.

Besonders komplex ist die Konstruktion seines Hauptwerkes „La Vie mode d‘ emploi“ („Das Leben eine Gebrauchsanweisung“). Hier erzählt er die Geschichte eines großen Pariser Hauses, indem er wie der Springer beim Schach von einer Wohnung zur nächsten wechselt und so eine Vielzahl unterschiedlicher Geschichten verknüpft. Im Mittelpunkt steht allerdings ein Bewohner mit einem strengen Lebensplan. Erst lernt er zehn Jahre Aquarellmalerei. Dann geht er zwanzig Jahre auf Weltreise. Dabei malt er fünfhundert Hafenansichten und lässt sie von einem Puzzle-Hersteller zersägen. Wieder zuhause setzt er die Puzzles zusammen und lässt das Holz hinter dem Papierbild entfernen. Schließlich wird jedes Aquarell genau zwanzig Jahre nach seiner Entstehung wieder im Wasser seines Ursprungshafens aufgelöst. Übrig bleibt nur das Papier, das wieder nach Paris geschickt wird. Der  Plan geht nicht ganz auf, unter anderem, weil der Puzzler zu früh stirbt.

Zu früh gestorben ist auch Georges Perec, nämlich 1982 mit erst sechsundvierzig Jahren. Am 7.März 2016 wäre er achtzig Jahre alt geworden.

Der Verlag Diaphanes bringt etliche Werke Perecs in einem schönen kleinen Format auf Deutsch heraus.Unter anderem auch das autobiografische „W oder die Kindheitserinnerung“, das Holocaust und Kinderfantasien, Reales und Erzählkunst auf berührende Weise zusammenführt.

Selfie-Grab

Fernand Arbelot

Fernand Arbelot

Grab des Fernand Arbelot auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise.
Die Skulptur erfüllt ihm seinen Wunsch, für immer in das Antlitz seiner Frau zu sehen.

Gut möglich, dass das Selfie-Zeitalter uns bald die Variante mit Smartphone in den Händen beschert. Und das Startup mit der passenden Find-a-Grave-App wird dann auch nicht lange auf sich warten lassen:

Das Smartphone erkennt, wann man sein finales Selfie schießt, gibt automatisch den Druckauftrag an den friedhofseigenen 3D-Drucker und benachrichtigt den Amazon-Rücknahme-Dienst. Der liefert die Leiche direkt in die von Google berechnete freie Grabstelle. 3D-Selfie-Skulptur drauf. Fertig.
Eingehende Facebook-Likes können fortlaufend am Fußende abgelesen werden.

 

Deinem Sohn gewidmet

GoethesSohn
Heute jährt sich der Todestag von „Goethes Sohn“, gestorben am 27.10. 1830 in Rom. Todesursache bei dem erst Vierzigjährigen soll ein Fieber gewesen sein. Der Obduktionsbericht nennt auch übermäßigen Weinkonsum.
Sein Grabstein auf dem Protestantischen Friedhof trägt die Inschrift „Goethe Filius“.  Also schlicht „Goethe Sohn“ oder „Goethe Junior“, nicht Julius August Walter von Goethe. Und „Filius“ lässt sich hier kaum als bloße Unterscheidung zum Vater lesen, wie etwa bei Dumas père und Dumas fils, die beide erfolgreiche Schriftsteller waren. August von Goethe wurde selbst im Grabe nur als Anhängsel des großen Vaters gesehen. Auf dessen Grab steht übrigens auch nicht „Goethe Pater“. „Durch ein mangelndes eigenes Genie kaum bedrückt“ (eigenwillige Wikipedia-Formulierung) war der Filius dem Vater wohl allein im Tode voraus („patri antevertens“).

Die Inschrift „Goethe Filius“ ehrt also mehr den Vater als den Sohn. Der hat die Inschrift schließlich auch selbst verfasst.

Als Neue Frankfurter Schüler gleichsam die Urenkel Goethes sollten Robert Gernhardt und F.W. Bernstein die Form der indirekten Widmung konsequent weiterentwickeln. 1976 begrüßten sie die Leser ihrer „Besternten Ernte“ mit einem „Deiner Frau gewidmet“.

Genderbewegten, die den Herren eine rückständige Reduzierung der Leserschaft auf Männer vorwerfen mögen, kann man entgegenhalten, dass die beiden im Gegenteil ihrer Zeit voraus gewesen sein könnten, indem sie schon die Frau-Frau-Ehe vorausgesetzt haben mögen. Dafür spricht auch, dass sie im selben Buch mit „Vater, liebster Vater mein, willst du meine Mutter sein“ auch schon Transgender-Phänomene thematisiert haben.

Und wer hat mit dem „Erlkönig“ die Vorlage für dieses „Transgender“-Gedicht geliefert?
Der Vater von Goethes Sohn natürlich.

Wahrheit Status Quo Ante

Man muss nicht immer die Wahrheit suchen, wenn man die Berliner Rankestraße entlang geht. Doch die Häuser Nr. 23 und 24 können einem zu denken geben. 

Zunächst das “Café King” in der 23, wo einst Fußballschiedsrichter Robert Hoyzer und Wirt Ante Sapina den großen Wettbetrug ausgekungelt hatten.
Dann direkt daneben die 24 mit einer Gedenktafel für den Psychoanalytiker Karl Abraham. Darauf zu lesen eine Würdigung von Freud:
“Er wäre ‘ein vorbildlicher Führer zur Wahrheitsforschung geworden, unbeirrt durch Lob und Tadel der Menge, wie durch lockenden Schein der eigenen Phantasiegebilde’”.

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So nah beieinander liegen Betrug und Wahrheitsforschung. Doch die Wettfreunde scheinen das lockende Café immer nur von der anderen Seite her betreten zu haben.