Im aktuellen Spiegel-Titel über „Heimat“ kommt auch das „Heimweh“ vor.
Den Journalisten Freddie Röckenhaus soll es gar so stark überkommen haben, dass er aus dem schönen und mondänen Hamburg wieder zurück in seine Heimatstadt Dortmund zog und von da gar nicht mehr weg will.
Das scheint uns weltläufigen Mobilitätsartisten schon ein ordentliches Heimweh
zu sein.
Doch früher war alles noch viel schlimmer. Früher war Heimweh eine echte Krankheit, die auch tödlich enden konnte.
Und wer hat’s erfunden?
Die Schweizer natürlich. Mitte des 16. Jahrhunderts berichtet ein Schweizer Heerführer von einem Söldner „gestorben von heimwe“ (1).
1678 veröffentlichte der Schweizer Arzt Johann Hofer seine Dissertation „De Nostalgia oder Heimwehe“. Nebenbei hat er damit auch das Kunstwort Nostalgie geprägt, das wir heute eher im zeitlichen Sinne als Sehnsucht nach der Vergangenheit verstehen.
Der Mediziner ging mit seiner Arbeit ein ernsthaftes Problem an: Tatsächlich litten etliche Schweizer Söldner im Ausland so schwer an Heimweh, dass sie, wenn sie nicht desertierten, ernsthaft erkrankten und teils auch starben. Besonders befeuert wurde diese Krankheit durch das Singen und Spielen des heimischen „Kuhreihens“. Die Offiziere sahen sich schließlich gezwungen, diese Musik unter Androhung der Todesstrafe zu verbieten.
Auf der Suche nach der Ursache dieser „Schweizerkrankheit“ verfolgte die Wissenschaft diverse Hypothesen. Eine davon machte die „unreine“ Luft in den engen Schweizer Tälern verantwortlich. (Litt Dortmund nicht auch einmal unter schlechter Luft?). Als man die Heimweh-Krankheit jedoch auch an der See nachwies, musste man neu ansetzen.
Mit Verbrechen aus Heimweh befasste sich 1909 Karl Jaspers. Er unterzieht die Straftaten „entwurzelter“ junger Mädchen, die von den gesellschaftlichen Umwälzungen vom Land in die Städte getrieben worden, waren, einer psychologischen Analyse. (Vielleicht die einzige Dissertation, die als Theaterstück eingerichtet wurde.)
Möglicherweise lindern unsere heutige Lebensweise, unser Selbstverständnis, die Möglichkeiten des physischen wie des virtuellen Reisens Ausbruch und Folgen des Heimwehs. Etwas Heimweh bleibt wohl immer. Und sei es nach einer Heimat, in der wir nie waren (Ernst Bloch).
So angenehm melancholisch kann es natürlich nur aus einer saturierten Position voller Entscheidungsfreiheit enden. Für die vielen Flüchtlinge auf unserem Globus dürfte das Heimweh nach wie vor eine existenzielle Sache sein.
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(1) Zitiert nach Gröf, D. “ Diagnose Heimweh“, S. 90.
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