Vollendete Sätze

„Nun muß er doch wohl…“

Diesen angefangenen Satz hörte einer der berühmtesten „Nervenkranken“, Daniel Paul Schreber (1842- 1911), immer wieder. Ausgesprochen von Stimmen, die nur er vernahm. Zwanghaft musste er jedes Mal vollenden: „…mürbe sein, der Schweinebraten.“
Der „Schweinebraten“ war dabei Schreber selbst, der ihm zufolge durch Strahlen mürbe gemacht werden sollte.
Aufgeschrieben hat er dies in seinen umfangreichen „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“, verfasst in der Psychiatrie. Zuvor war Schreber Gerichtspräsident in Dresden gewesen.

Sein Vater war der noch berühmtere Moritz Schreber, einflussreicher Pädagoge  und Namenspatron der Schrebergärten. Dieses Jahr wird sein einhundertfünfzigster Todestag begangen. Ich erinnere hier auch an den hundertsten Todestag des Sohnes.

Dieser und sein älterer Bruder Daniel Gustav (1839-1877) hatten damals wenig zu feiern. Der Vater erzog sie und drei andere Geschwister in mehr als nur strenger Weise. Unter anderem mussten sie ausgeklügelte Ledergeschirre tragen, die ihnen eine korrekte Körperhaltung aufzwingen oder sie am Masturbieren hindern sollten.

Nach heutigem Wissen ist die paranoide Wahnkrankheit Daniel Pauls nicht so schlicht auf diese Erziehung zurückzuführen, wie das frühere Analysen, u. a. von Freud getan haben.Bruder Daniel Gustav war allerdings auch nicht besser dran. Er nahm sich das Leben.

Die Schrebergärten waren übrigens keine Erfindung Schrebers. Erst nach dessen Tod gründete der Leipziger Schuldirektor Ernst Innozenz Hauschild den „Schreberverein“ und benannte ihn nach Moritz Schreber.

Shakespeare-Schimpfe

Die These, dass Shakespeare lediglich das Pseudonym des Earl of Oxford gewesen sei, ist zwar nicht so alt wie Shakespeare, hat aber das Haltbarkeitsdatum seit langem überschritten.
Gleichwohl wird das dünne Thesen-Süppchen nun wieder aufgewärmt – von Roland Emmerich in dessen neuem Film „Anonymous“.

Wer sich darüber amüsiert oder ärgert, wie bierernst Emmerich in der Film-Promo die alte Plörre als neue wissenschaftliche Entdeckung präsentiert, der bekommt hier die passenden Shakespeareanischen Schimpfwörter. Mit dem folgenden „Invektivengenerator“
lassen sich daraus vielfältige Kombinationen herstellen.

Shakespeare Insult Kit
Combine one word from each of the three columns below, prefaced with „Thou“:

Column 1	    Column 2            Column 3 

artless             base-court          apple-john
bawdy               bat-fowling         baggage
beslubbering        beef-witted         barnacle
bootless            beetle-headed       bladder
churlish            boil-brained        boar-pig
cockered            clapper-clawed      bugbear
clouted             clay-brained        bum-bailey
craven              common-kissing      canker-blossom
currish             crook-pated         clack-dish
dankish             dismal-dreaming     clotpole
dissembling         dizzy-eyed          coxcomb
droning             doghearted          codpiece
errant              dread-bolted        death-token
fawning             earth-vexing        dewberry
fobbing             elf-skinned         flap-dragon
froward             fat-kidneyed        flax-wench
frothy              fen-sucked          flirt-gill
gleeking            flap-mouthed        foot-licker
goatish             fly-bitten          fustilarian
gorbellied          folly-fallen        giglet
impertinent         fool-born           gudgeon
infectious          full-gorged         haggard
jarring             guts-griping        harpy
loggerheaded        half-faced          hedge-pig
lumpish             hasty-witted        horn-beast
mammering           hedge-born          hugger-mugger
mangled             hell-hated          joithead
mewling             idle-headed         lewdster
paunchy             ill-breeding        lout
pribbling           ill-nurtured        maggot-pie
puking              knotty-pated        malt-worm
puny                milk-livered        mammet
qualling            motley-minded       measle
rank                onion-eyed          minnow
reeky               plume-plucked       miscreant
roguish             pottle-deep         moldwarp
ruttish             pox-marked          mumble-news
saucy               reeling-ripe        nut-hook
spleeny             rough-hewn          pigeon-egg
spongy              rude-growing        pignut
surly               rump-fed            puttock
tottering           shard-borne         pumpion
unmuzzled           sheep-biting        ratsbane
vain                spur-galled         scut
venomed             swag-bellied        skainsmate
villainous          tardy-gaited        strumpet
warped              tickle-brained      varlot
wayward             toad-spotted        vassal
weedy               unchin-snouted      whey-face
yeasty              weather-bitten      wagtail

My (s. u.)  additions:

cullionly           whoreson            knave
fusty               malmsey-nosed       blind-worm
caluminous          rampallian          popinjay
wimpled             lily-livered        scullian
burly-boned         scurvy-valiant      jolt-head
misbegotten         brazen-faced        malcontent
odiferous           unwash'd            devil-monk

poisonous           bunch-back'd        toad
fishified           leaden-footed       rascal
Wart-necked         muddy-mettled       Basket-Cockle
                    pigeon-liver'd
                    scale-sided

Ich habe das hier gefunden, aber keine weiteren Hinweise auf eine möglicherweise ursprüngliche Quelle. Also keine Gewähr.

Schamlos Seamless

Neulich in der Park Avenue:
An der Fußgängerampel steht ein junger Typ und telefoniert lautstark vor sich hin.
„Yes, … yes,  no, … I am, I am  at…“ Übergangslos brüllt er einem distinguierten älteren Herrn ins zentimeterferne Gesicht „Where are we?!
Stoische Antwort: „52nd Street Park Avenue“
„Where?!“
Weiterhin stoisch: „Park Avenue. P-A-R-K Avenue“
„Park Avenue, 52nd Street!“, brüllt der Junge ins Telefon und läuft ohne jeden weiteren Umstand los.

Rentenwegfallalter

Bürokratenwort für Sterbealter.
Gerade wieder in der Öffentlichkeit, im Kontext der Diskussion zum Thema „Wer früher stirbt, war länger arm“.
Kein schönes Wort, aber aus Perspektive der Rentenkassen wohl zutreffend.
Nur nicht in Griechenland, da sind zu häufig nur die Rentner, nicht aber die Renten weggefallen.

Im Gegensatz zum „Rentenwegfallalter“ scheint das „sozialverträgliche Frühableben“ – „Unwort des Jahres“ 1998 – vom damaligen Ärztepräsidenten ironisch-provokativ verwendet worden zu sein. Hat aber wohl keiner gemerkt.

Zettels Traumrolle

Was hat der Kommunikationsdesigner mit der Opern-Enthusiastin gemeinsam?
Die Beschäftigung mit Leporello.
Leporello ist ein Heftformat in Zickzackfaltung, das gerne für Broschüren oder Foto-Sammlungen eingesetzt wird.
Leporello ist aber auch der Diener des Frauenhelden in Mozarts Oper Don Giovanni. Für diesen führt er eine lange Liste der verführten Damen. In Ermangelung eines Smartphones ersinnt Leporello das Faltsystem und präsentiert es samt Inhalt von 2065 Verführten der entsetzten Donna Elvira.
Die Oper wurde bekanntlich ein Riesenerfolg. Und das Faltsystem bekam eine Produktpräsentation, die selbst Apple neidisch machen müsste. Schließlich führte die Popularität der Oper dazu, dass gefaltete Hefte heute allgemein Leporello genannt werden (1).

Noch Licht in der Designakademie? Der Student faltet. Die Liebste blinkt im Smartphone. Der Student faltet.
Noch voller Klang in der Scala. Die Enthusiastin schwelgt. Die Liebsten auf der Bühne suchen Rache. Die Enthusiastin schwelgt.
Und Leporello? Leidet aber hilft wo er kann.

Schön und gut, aber woher kommt nun der Name der Bühnenfigur Leporello?
Vom Librettisten der Oper natürlich, Lorenzo da Ponte.
Weshalb nennt der den Diener Leporello, also „Häschen“. Die Interpretationen sprechen von der Hasenfüßigkeit des Dieners und bemühen ausufernd Symbolgeschichte und Küchenspsychologie des Hasen an sich.
Man könnte aber auch schlicht bedenken, dass der ursprüngliche Name des Herrn da Ponte Emmanuelle Coneglione war. Und Coneglione heißt auf Deutsch Karnickel.
Und da könnte der Hase auch im Pfeffer liegen.
____________________________________________________________________
(1) Auch wenn das Faltsystem für die Inszenierung gar nicht zwingend ist, geht der Name wohl doch auf dieses Register zurück. Gewiss hat auch die Klangähnlichkeit zum – heute weniger geläufigen – Begriff „Liberello“  (Büchlein) eine Rolle gespielt.
Übrigens, in der Grafik oben findet sich der Leporellofalz unter 4.

Halogenverschwörung

Halogenverschwörung
„Die Lampen haben wir in die Decke intrigieren lassen“, verkündet der Dienstleister bei Eröffnung seiner neuen Räume.
Wie aufwändig! Wenn man bedenkt, dass schon die Ostfriesen fünf Leute brauchten um eine altmodische Glühbirne einzuschrauben (Einer steht auf der Leiter und hält die Birne, die anderen vier drehen die Leiter).
Das Intrigieren erfordert sicher sehr viel mehr Beteiligte. Außerdem muss bei einer Intrige ja alles indirekt bewirkt werden, und das Objekt der Machenschaften darf davon nichts mitbekommen.

Wie gerufen

Anfang der Siebziger vor einem Mehrfamilienhaus mitten in der Kurpfalz.
Ein Junge ruft aus dem Fenster seinen kleinen Bruder ins Haus: „Alla kumm roi!“
Der versteht das und folgt doch erst nach weiteren Aufforderungen.
Wer das nicht verstehen sollte – es bedeutet so viel wie „Los jetzt, komm herein!“
„Alla“ ist dabei die kurpfälzische Version des französischen „Allez“, die dem Kurpfälzer so selbstverständlich und regelmäßig aus der Kehle kommt wie die Atemluft. Wer etwa zum Aufbruch aufgefordert wird, hört ein „Alla hopp!“, äußert zum Einverständnis ein „Alla gut“ und sagt zum Abschied „Alla dann“.
Dem kleinen norddeutschen Zuwanderer, der damals Ohrenzeuge des „Alla kumm roi!“ wurde, war dies alles fremd. Er ging zu seiner norddeutschen Mama und berichtete, der Nachbarsjunge hieße Allah. Doch, der Bruder hätte ihn mehrfach so gerufen.
Vierzig Jahre später ist die Mehrheit in dem Haus islamischen Glaubens. So hat der kleine Norddeutsche in gewisser Weise doch noch Recht bekommen. Allah jedenfalls scheint den Ruf verstanden zu haben. Allerdings scheint er eine noch viel längere Reaktionszeit gehabt zu haben als der kleine Bruder.
Doch vor dem Herrn sind bekanntlich tausend Jahre wie ein Tag. Und wenn man  die fünfzehn Minuten, die der kleine Bruder vielleicht brauchte, dem Ruf ins Haus zu folgen, in fünfzehn Minuten Allah-Zeit umrechnet, kommt man auf etwa zehn Menschenjahre. Und siehe, das ergibt tatsächlich auch die Zeitspanne, nach der die ersten Muslime in das Haus zogen.
Und deren Kindeskinder halten die eingeborenen „Alla!“-Rufer heute vielleicht für kleine Muezzins.