Infra-normal

Paris_VI_place_Saint-Sulpice

Quelle: wikimedia

Paris, 18. Oktober 1974. Der Schriftsteller Georges Perec sitzt an der Place Saint-Sulpice und notiert, was geschieht, wenn nichts geschieht. Drei Tage lang.

Ein Reisebus, leer. Ein Frisé, der aus einem Einkaufskorb lugt.  Die Buchstaben KLM auf einer Tasche. Alle Ziffern auf dem Platz. Alle Gesten. Perec notiert, was er anderswo „infra-ordinaire“ nennt. Das was unterhalb unserer gewöhnlichen Wahrnehmung liegt.

Vierzig Jahre später setzt sich die Radiojournalistin Nicole Paulsen mit einer Freundin an denselben Platz, um das Experiment zu wiederholen. Wie Perec notieren sie penibel, was sich ereignet, wenn sich nichts ereignet. „Ein junger Mann, kariertes Jackett, Schiebermütze, er fotografiert, liest ein Buch und schaut wieder auf den Platz. Literaturstudent?“ Das Buch ist von Perec. Der junge Mann wiederholt Perecs Bestandsaufnahme ebenso wie die beiden Frauen. Wie auch ein blonder junger Mann mit Moleskine, eine rotblonde Frau mit Kuli und Fotoapparat, eine „Frau im schwarzen Trench mit Macbook, Aufnahmegerät und Camcorder“, eine …

Alle sitzen an der Place Saint-Sulpice und beobachten einander, wie sie einander beobachten. Nur wegen Georges Perec.

So hat Perec, der nur beobachteten wollte, was sich ereignet, wenn sich nichts ereignet, doch noch ein Ereignis geschaffen.

Der schwarze Frack der Dinge

Im Hotel Drouot erste Versteigerung von Photographien gesehen. Alles wird schwarz in diesem Jahrhundert: die Photographie, das ist wie der schwarze Frack der Dinge.

Journal der Brüder Goncourt, 1857

Selfie-Grab

Fernand Arbelot

Fernand Arbelot

Grab des Fernand Arbelot auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise.
Die Skulptur erfüllt ihm seinen Wunsch, für immer in das Antlitz seiner Frau zu sehen.

Gut möglich, dass das Selfie-Zeitalter uns bald die Variante mit Smartphone in den Händen beschert. Und das Startup mit der passenden Find-a-Grave-App wird dann auch nicht lange auf sich warten lassen:

Das Smartphone erkennt, wann man sein finales Selfie schießt, gibt automatisch den Druckauftrag an den friedhofseigenen 3D-Drucker und benachrichtigt den Amazon-Rücknahme-Dienst. Der liefert die Leiche direkt in die von Google berechnete freie Grabstelle. 3D-Selfie-Skulptur drauf. Fertig.
Eingehende Facebook-Likes können fortlaufend am Fußende abgelesen werden.

 

Alles nur Fassade

Doch das Elend war echt:

“Die Frauen aus den Bordellen der Cité schaben Backsteine mit einem Holzstück ab, um sich zu schminken.”
Aus dem Journal der Brüder Goncourt, das kürzlich in einer vollständigen deutschen Ausgabe bei Haffmans/Zweitausendeins erschienen ist.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg sollen Frauen in Deutschland abfärbendes rotes Einwickelpapier von Ersatzkaffee als Rouge für Lippen und Wangen verwendet haben.